ARBEITSSTÄTTEN

Arbeitsstätten 2016, 3-teilig, Pigmentsprints, je 100 x 70 cm

»Es geht zum einen um die unterschiedlichen Aspekte von „Arbeitsstätten“, wie z.B. die veränderten Arbeitsstätten seit der Industrialisierung und durch die Digitalisierung, um reale und virtuelle Büros und Konferenzräume, um Geld und Roboter, Raster und Fassaden. Zum Anderen geht es aber auch um konkrete Arbeit und Arbeitsbedingungen als Fotokünstlerin, und um das Verständnis von Fotografie und Archiven, um den Umgang mit eigenen Foto-Archiven und den Umgang mit gefundenem Material zur Recherche aber auch als künstlerisches Material.«

exhibited at:
2016 »Vom Wert der Kunst als Wert der Arbeit« [G] curated by Sabine Maria Schmidt, HPZ-Stiftung Düsseldorf


Mit Arbeitsstätten präsentiert Katja Stuke eine mehrteilige Fotomontage im Querformat auf 101 x 213 cm. Die Arbeit setzt sich aus insgesamt 135 Einzelbildern zusammen. Alle Bilder hat Stuke auf ein einheitliches Format gebracht. In fünfzehn Spalten auf neun Reihen arrangiert sie seriell die durchweg schwarz-weißen Bildmotive, so dass durch den umgebenden weißen Rahmen ein klares und geschlossenes Linienraster entsteht.
Arbeitsstätten zeichnet sich durch komplexe Inhalte in einer klaren gestalterischen Form aus. Das Raster schafft eine bessere Lesbarkeit und die Möglichkeit einer Benennung einzelner Bildszenen ähnlich einem Koordinatensystem. Für ihre Montage hat die Fotografin sowohl eigene als auch fremde Arbeiten verwendet. Diese könnten analoge Aufnahmen aus Archiven sein, entstammen aber nach Angaben Stukes tatsächlich alle dem Internet. Im digitalen Zeitalter bietet das Netz der Künstlerin einen stetigen Zugang zu einem schier unüberschaubaren Fundus an Bildquellen. Die gefundenen Bilder sichert Stuke zunächst auf elektronischen Speichermedien, sortiert sie archivarisch präzise in gesonderten Ordnern und erstellt daraus eine private Sammlung. Die Sortierung erfolgt unter formal motivischen Gesichtspunkten. So werden etwa Ansichten von Konferenzräumen oder Fassaden gesammelt. Aus diesem nach persönlichen Präferenzen gestalteten Archiv hat Stuke eine auf das Projekt Arbeitsstätten abgestimmte Auswahl an Bildmaterial getroffen. Anschließend assembliert sie eigene fotografische Aufnahmen mit diesen Fundstücken. So stammt beispielsweise die Aufnahme des Klingelschildes an einer Eingangstür des ersten facebook-Büros von Katja Stuke (N5). Das Foto einer Wolke ist ebenfalls von Stuke (D1). Es sticht innerhalb der Montage motivisch klar heraus, kann nicht direkt mit der Thematik der Arbeit zusammengebracht werden, könnte aber als versteckte Anspielung auf die Technik des Cloud Computings gelesen werden.

Jedoch spielt die Autorenschaft der Bilder in Arbeitsstätten keine Rolle, es geht nicht um persönliche künstlerische Handschriften, die aus den Bildern möglicherweise gelesen werden können. Es entsteht vielmehr ein anonymes Konvolut an Bildmaterial, das seine gesamte Wirkung im vielschichtigen Zusammenspiel entfaltet. Gerade die Nutzung von Stockmaterial verdeutlicht einmal mehr die geringe Bedeutung von Autorenschaft. Dieses von Bildagenturen bereitgestellte Material ist mehrfach im Werk auszumachen, da Stuke den Hinweis auf das entsprechende Copyright im Bild belässt. So sind beispielsweise der Blick ins Innere eines geschäftigen 1990er-Jahre Büroraums (G5) oder das Abbild eines auf simple geometrische Formen reduzierten Containerterminals (K8) mit einem Wasserzeichen versehen.

Die Fotomontage beinhaltet sowohl fotografische als auch grafische und computergenerierte Aufnahmen. Das dokumentarisch wirkende Schwarz-Weiß der Bilder verleiht dem Gezeigten vermeintliche Authentizität; der Konsens medial vermittelter Wahrheit wird gemeinhin nicht hinterfragt. Ebenfalls bewirkt die Monochromie eine Uniformität der Bilder, dabei integriert Stuke doch gerade verschiedene fotografische Genre in Arbeitsstätten. Architekturfotografie, Industriefotografie, Werkfotografie, Werbefotografie und Dokumentarfotografie treffen aufeinander, vermischen sich mit fiktionaler und inszenierter Fotografie. Die Rasterung als strukturierendes Element schafft zudem eine Gleichwertigkeit und Gleichzeitigkeit des Abgebildeten. Doch Katja Stuke zeichnet auch Historie nach. So dokumentiert und illustriert sie die Geschichte der Arbeit und ihrer Orte von der Industrialisierung über die Jetztzeit bis in die vermeintliche Zukunft. Dazu versammelt sie Außen- und Innenansichten, bildet Fabriken, Büros, Konferenzräume, Lagerhallen, Parkplätze, Menschen, Maschinen und Roboter ab. Mithilfe von abgebildeten Fassaden und Rastern doppelt die Künstlerin inhaltlich die formale Rasterstruktur der Arbeit. Das strukturelle System wiederholt sich etwa in der kleinteiligen Fassadengestaltung eines Gebäudes (G6) oder der perforierten Gestaltung einer Decke (J2), abermals ein Foto Stukes, wird aber auch mit der Abbildung der horizontal rhythmisierten Hochhausfassade des Toronto-Dominion Centres (A6) aufgegriffen.
Alle Einzelaufnahmen weisen darüber hinaus einen zuordbaren Zeitbezug auf, wodurch dem Betrachter das Folgen einer Chronologie ermöglicht wird. Diese ist allerdings nicht linear strukturiert und damit klar ablesbar. Der Betrachter wird folglich aufgefordert, aktiv eine zeitliche Leserichtung zu suchen. So dokumentiert die Zeichnung einer Fabrikanlage mit Schornstein (I5) etwa den Beginn des Industriezeitalters. Über die Kleidung der in Büros arbeitenden Angestellten (D8) lässt sich ebenfalls eine Datierung der gezeigten Situationen und Inhalte treffen. Dass Stuke hier zumeist weibliche Protagonisten zeigt, lässt an den Diskurs um die Rolle der Frau in der damals männerdominierten Arbeitswelt erinnern (D3). Selbst der Blick in die Zukunft ist letztlich ein Blick in die Vergangenheit, wenn Stuke als Vision der urbanen Großstadt eine Szene aus dem Film Metropolis aus dem Jahre 1927 einbringt (A7). Der retrospektive Blick nach Vorne wird im benachbarten Bild einer zwar futuristisch anmutenden aber realen Architektur gegenüber gestellt (B7). Das Rendering zeigt die neue Zentrale des Apple Konzerns im kalifornischen Cupertino nach einem Entwurf von Norman Foster, welche im Frühjahr 2017 fertiggestellt wurde. Die Anordnung der Einzelbilder überlässt Stuke folglich keineswegs dem Zufall. Vielmehr versucht sie, innerhalb der großen Geschichte weitere kleine Narrationen unterzubringen.

So nutzt Stuke Arbeitsstätten bezeichnenderweise auch, um auf eine essentielle Veränderung fotografischer Arbeitsstätten hinzuweisen. Auf eine Aufnahme des Eastman Kodak Parks mit dem 1914 erbauten Kodak Tower (K7) folgt eine Sequenz von Bildern, die die Sprengung mittlerweile nicht mehr benutzter Gebäudehallen des Werks zeigen. Am 6. Oktober 2007 wartet eine Ansammlung von Menschen im sicheren Abstand auf die Sprengung der Gebäude 65 und 69 in Rochester, New York (L7, N8). An anderer Stelle bringt die Künstlerin weitere Motive aus der Serie unter, zum Beispiel die Sprengung vom Kodak Gebäude 9 am 30. Juni 2007 (M7). Ein weiteres Bild zeigt ein Gebäude der Kodak-Pathé Gruppe im französischen Chalon-sur-Saône nach einem erfolglosen Sprengversuch am 10. Dezember 2007 (C5), eine nächste Abbildung die Dunkelkammer des Fotografen Nathan Lyons (L1) und wieder eine andere die Ilford Fabrik in Mobberley, Großbritannien (K3). Kausal, temporal und damit erzählerisch gehören diese Aufnahmen zusammen, dokumentieren sie doch den Untergang des filmbasierten Fotografierens. Die Zerstörung der Produktionsstätten für Film und Fotopapier geht einher mit dem Wechsel von analoger zu digitaler Technik. Fotografisch wird damit ironischerweise die Geschichte des Untergangs des eigenen Mediums mit den Mitteln eben dieses Mediums festgehalten. Erkennt der Betrachter eben jenen Erzählstrang und damit die Dokumentation der historischen Grundlage der Möglichkeit des Arbeitens eines jeden Fotografen, so wandelt sich Stukes Narrativ von einer ebenfalls vorhandenen generischen Geschichte der Arbeit zu einer selbstreflektiven Geschichte der Kreativwirtschaft. Ein Blick auf weitere, aufgrund der Vielzahl nicht en détail beschreibbaren Einzelbilder bestätigt diese These: Fotopapier walzende Papierwerke (A5), Bildbearbeitungssoftware entwickelnde Computerhersteller (B7) und virtuelle Besprechungszimmer im Second Life (H1).

Veränderungen in der Arbeitswelt sind ein historisch gegebenes und darum auch signifikantes Motiv in Arbeitsstätten. Einzelbüros (F7) stehen Großraumbüros (E4) gegenüber, die Computerisierung hält Einzug (I1), es entstehen digitale Besprechungszimmer (E6). Arbeitskultur ist stets im Wandel begriffen und hat zu zahlreichen Verbesserungen von Arbeitsbedingungen geführt. Doch nicht alles ist Symptom von Erfolgsgeschichten. Eines dieser abgebildeten Großraumbüros ist besonders hervorzuheben. Es ist dem Film Playtime aus dem Jahre 1967 entliehen (H8). Nicht nur greift Stuke abermals auf cineastisches Material als Quelle zurück, sondern wählt mit der Szene aus dem Jacques Tati-Film ein Paradebeispiel für die Darstellung der geradezu antiseptischen Natur des modernen Lebens. Die Räume sind sauber, aufgeräumt, jeder Mitarbeiter bekommt seinen eigenen Kubus zugewiesen. Diese Architekturen aus Glas, Stahl und Beton sind alle geradlinig. Diese Beschreibung ist auf weitere Motive in der Fotoarbeit anwendbar (C1). Ohnehin ist die formale, wiederholte Entsprechung von Perspektiven in verschiedenen Einzelbildern der Arbeit ein Gestaltungselement, das abermals den Rastergedanken und die Serialität der Arbeitsstätten betont.

Der auf den ersten Blick positiven Lesart der Fotoarbeit, sozusagen einem optimistischen Fortschrittsgedanken folgend, setzt Stuke bewusst Störelemente entgegen. Die Aufnahme des Falling Man (H9) vom 11. Septembers 2001 vor der streng gerasterten Fassade des World Trade Center wirkt als Zäsur in der beschriebenen Chronologie. Eine Szene aus Charlie Chaplins Modern Times (F9) kolportiert ebenso die Idee der gefeierten Moderne und zeigt den Menschen buchstäblich gefangen im maschinellen Zahnwerk produktiver Arbeit. Damit ist das Projekt der Fotografin keineswegs eine kritiklose historische Erzählung.
Katja Stuke spürt mit bereits vorhandenen Bildern in eigenen Konstellationen den vielschichtigen Veränderungen in der Geschichte der Arbeit nach. Dabei ist die Fotomontage zugleich eine Aufforderung an den Betrachter zur genauen Lektüre der Einzelbilder, zum Herstellen formaler Analogien, zum Suchen nach Bildsystemen und strukturellen Verwandtschaften, zum Nachvollziehen der Prinzipien von Ordnung und Ästhetik. Damit benennt Arbeitsstätten mannigfaltige Ideen und Ansätze, die die Basis zu Wiederentdeckungen und neuer möglicher Diskurse bietet. Katalog, Maurice Funken