Vanessa Joan Müller: Supernatural

Die Serie Supernatural, in der Katja Stuke (geboren 1968, lebt in Düsseldorf) Kunstturnerinnen und Turmspringer/innen porträtiert, entstand während der Olympischen Spiele von Sydney (2000), Athen (2004), Peking (2008) und London (2012). Die Bilder sind abfotografierte Standbilder von Fernsehübertragungen, die in einen hochformatigen Bildausschnitt überführt wurden. Senderkennung und das anwesende Publikum sind ausgeblendet, so dass alle Verweise auf das Fernsehbild sowie dessen zeitliche und räumliche Kontextualisierung in den ganz auf das Gesicht der Sportler fokussierten Bildern fehlen. Lediglich das Flimmern des gerasterten Fernsehbildes hat in unterschiedlich starken farbigen Streifen seine Spuren hinterlassen, was den Porträts jenseits ihres medialen Ursprungs eine eigentümlich entrückte Aura verleiht.

Die Nahaufnahmen der Fernsehkameras, die festhalten, was dem Zuschauer der Wettkämpfe vor Ort verwehrt bleibt, konzentrieren sich auf die Anspannung in der Mimik der Athleten wenige Sekunden vor ihrem Einsatz. Auf die Gesichter gerichtet, als ob hier Zeichen bevorstehender Erfolge oder Niederlagen bereits zu erahnen seien, hält die an die Sportler/innen heranzoomende Kamera jede Regung fest. In Katja Stukes Porträts fehlt jedoch das Vorher und Nachher einer solchen linear in der Zeit sich entfaltenden Entwicklung.

Hier gibt es nur die reine Präsenz des Bildes, in dem sich die Entrückung der Dargestellten verdichtet. Gerade die visuelle Nähe erzeugt deshalb eine eigenartige Distanz gegenüber den Frauen und Männern, von deren sportlicher Leistung wir nichts erfahren.

Letztlich präsentieren sich die Supernaturals, wie der Titel der Serie suggeriert, als überirdische Wesen und Produkt einer televisuellen Parallelwek, in der die Wirklichkeit des Spitzensports auf wenige Chiffren reduziert ist. Denn natürlich geht es bei diesen Bildern vor allem um die tendenziell androgyne Ausstrahlung dieser Sportler und Sportlerinnen, ihren uniformen Look und das Bemühen, den grazilen Körpern die Anstrengung nicht anmerken zu lassen. Im einheitlichen Format von 106 x 86 cm präsentiert, drängt sich ein vergleichender Blick auf die verschiedenen Porträts auf, bei denen nicht das Individuum im Zentrum steht, sondern ein bestimmter Typus. Darin ähneln diese Olympia-Aufnahmen Katja Stukes Serie Suits, die Anzug tragende Männer porträtiert und unterschiedliche, in diesem Fall unbemerkt auf der Straße aufgenommene und aus verschiedenen Film- und TV-Formaten extrahierte Bilder kombiniert. Doch während Suits fiktive Inszenierung und den Alltag prägende Konventionen von Kleidung und Habitus vergleichend nebeneinander stellt, fehlt bei den Supenaturals das Reale, denn diese sind schon von sich aus mediale, für den Blick der Kamera aufbereitete Inszenierungen.

Trotz dieser medialen Verankerung findet im Abfotografieren der Fernsehbilder noch eine weitere wesentliche Transformation statt. Die isolierte, ihres Kontextes beraubte Großaufnahme ikonisiert die Sportler/innen und verweist in ihrer visuellen Überhöhung auf die Tatsache, dass man paradoxerweise niemanden von ihnen wirklich kennt. Im Gegensatz zu den Sportstars etwa der Leichtathletik bleiben die Turnerinnen und Turmspringer/innen anonyme Repräsentanten ihrer Disziplin. Sie strahlen eine irreale Schönheit aus, eine vergeistigte Präsenz, die sie wirken lässt als seien sie nicht von dieser Welt. In Stukes Bildern sind sie Produkte global verbreiteter Datenströme und keine Wesen aus Fleisch und Blut.
Sie leuchten im Licht des Monitors, bevor ihr Einsatz beginnt, und bleiben in diesem, zur Ikone verdichtet, auf ewig konserviert. Vanessa Joan Müller