Iris Maria vom Hof: Weltmänner und Männerwelten.

Iris Maria vom Hof im Gespräch mit Katja Stuke
Weltmänner und Männerwelten

Es heißt, ein Mann wirkt Erfolg versprechend, wenn er Verstand im Kopf hat und einen guten Anzug am Körper trägt. Einreihig oder zweireihig in der Form, mit oder ohne Weste, Hose mit oder ohne Aufschlag. Das Material aus feinem Tuch, Flanell, feine Kammgarne oder Streichgarnqualität. In dezenten Farben wie grau, blau, braun, auch Mischtöne. Und in zurückhaltende Musterungen wie Streifen, Börsenmustern, feinen Glenchecks. Das Hemd weiß, hellblau oder hellbeige, feine Hemdstreifen, klassischer Kentkragen oder eleganter Tabkragen. Doppelmanschette.
Nicht zu vergessen die Krawatte: Musterung oder Streifen auf Dessin und Anzugfarbe abgestimmt, aus Crêpe de Chine, Gumtwill, feine Seidenripps. Passendes Einstecktuch. Solch ein, die männliche Statur optimierender, Stadt- oder Geschäftsanzug verspricht den erforderlichen Anblick, wenn es um Gewinn bringende Transaktionen geht.

Katja Stuke thematisiert mit SUITS die aufgeregte Welt der Börsenquartiere. Dass dies zufällig während der Finanz- und Wirtschaftskrise um das Jahr 2007 geschieht, als das globale Finanzsystem kurz vor dem Totalausfall stand und ganze Volkswirtschaften ins Straucheln gerieten, bleibt nicht ohne Einfluss. Katja Stuke dokumentiert die vorgefundene Sachlage in subjektiver Wahrnehmung, jedoch niemals wertend. Wir erleben eine Choreographie um den Mammon ohne Zynismus. Männer in Gruppen, Männer alleine. Sie gehen aneinander vorbei und lösen sich wieder.

Das Allgemeine ist das Besondere, dabei fällt der Blick auf Details, für die man sonst kein Auge hat. Die Bildmotive spiegeln poetische Momente von Selbstvergessenheit.
Broker, Gangster, Agent oder Anwalt im Anzug, sie folgen alle einem Ziel, das wir nicht kennen. Mutige Gesichter eilen vorüber, provozierende Blicke treffen uns, wir sehen Männer niedergeschlagen oder schockiert. Im New Yorker Sommer ist man eilig, gehetzt, vom Wind zerzaust, hemdsärmlig unkorrekt gekleidet. Ein Gemisch aus konservativ, Look der 1960er-Jahre Mods und Designeranzug mit analogem Stilcode prägen die Finanzplätze Londons. In Osaka und Tokyo trägt man seinen Anzug traditionell so unauffällig wie möglich.

In einem weiteren Ausstellungsinhalt werden gefundene SUITS hinzugefügt: ebenfalls Straßenszenen, Zitate aus Filmen und Werbung, aus dem Parlament, aus Katalogen und Zeitschriften von den 1929er Jahren bis heute. Daniel Craig zum Beispiel, alias James Bond, trägt seinen Anzug cooler als seine Vorgänger. Barack Obama erscheint elegant in Schwarz gekleidet vor den Mikrofonen der Weltpresse.
Gary Grants Maßanzug kann auch die Flucht durch ein Maisfeld nichts anhaben. Unverhüllt großspurig ignoriert Al Capone das lästige Kameraauge. Verspielt flattern die Anzüge der tänzelnden Beatles, und, und, und … die Thematik SUITS bietet ungezählte Treatments für die Phantasie der Betrachter.

Bei dem Projekt SUITS werden hoch glänzend geprintete Videostills in TV-Stäbchenrasterung mit Pigment-Drucken auf financial-times-farbenen Farbpapier konfrontiert. Während im Ausstellungsformat die beiden Thementeile von SUITS in einer großflächigen Anordnung gleichzeitig zu sehen sind, verschmelzen die Videostills aus London, Tokyo, Osaka und New York im Kunstbuch SUITS (2008) mit dem gefundenen Material auf ganz andere Weise, weil jedes Bild zunächst nur halb in Erscheinung tritt. Die Doppelseiten sind in den Themen abwechselnd lose übereinander gelegt, dass beim Blättern ungewöhnlich gestaltete Bildkombinationen in bisweilen bizarr wirkenden Ausschnitten aufeinander treffen.
Grundsätzlich setzt die Vollendung eines Bildes von Katja Stuke mehrere Entscheidungs- und Abstraktionsschritte voraus, da simple Screenshots zu keiner für sie zufrieden stellenden Aussagequalität führen würden. Die Auswahl der Einzelbilder mag hierbei als kreative Kernentscheidung gelten. Korrekturen werden vorgenommen und, das ist Katja Stuke wichtig, bei dem Projekt SUITS zum Beispiel, niemals den Bildausschnitt betreffend. Wir sehen immer das komplette Videobild.

Um die Position Stukes einem künstlerischen Genre zuzuordnen, lassen sich Vergleiche zur Straßenfotografie ziehen, so lange es um den öffentlichen Raum geht, um Passanten, um das Essay und die Skizze von Milieus und Szenarios. In jedem Falle geht es um Individuen in menschlichen Grundsituationen, aber nicht um Privataufnahmen, was im Kunstkontext von entscheidender Bedeutung ist. In Abgrenzung zur klassischen Straßenfotografie besetzt Katja Stuke ein Feld der so genannten kreativen Fotografie, wobei sich das künstlerische Vorgehen in Aufnahme und Postproduktion gliedert. Erst in der Aufarbeitung der zunächst intuitiv vorgenommenen Bildkombinationen ergeben sich Inhalte, werden Konstellationen entdeckt, beginnt der kreative Prozess der falschen Rückschlüsse, wie sich Katja Stuke wörtlich ausdrückt.
Gruppierungen und Untergruppierungen werden gebildet und entwickeln sich vergleichbar einer Verwurzelung zu einem Ganzen. Aus dieser Verwurzelung offenbart sich die Inhaltlichkeit. Auf welche Weise diese instinktive Interpretation des Bildmaterials der Wahrheit nahe kommt oder möglicherweise der Illusion oder der Fiktion zuzurechnen ist, bleibt gewollt offen. In Düsseldorf angesiedelt, umgeben von der vitalen Düsseldorfer Kunst- und Werbeszene, begründen sich Stukes künstlerische Bildwelten auch auf ihre Studienschwerpunkte Typografie, Fotografie und Video. Die Reduktion der Bildelemente, die Kunst des Weglassens und der Appell an die Intelligenz der Betrachter verweisen auf ihre Tätigkeit (1995 bis 1998) in der Projektagentur von Michael Schirner und dessen Postulat der konsequenten Reduzierung auf inhaltlich relevante Bildelemente. Grundsätzlich gelten für sie die Regeln der Reduktion und das sich selbst erklärende Bild immer noch, meint Katja Stuke. Gestaltet ungestaltet bezeichnet sie dies Prinzip ihres Werks.

Zur Zeit der Olympischen Spiele in Sydney (2000) bemerkt Katja Stuke beim Zapping am heimischen TV-Gerät, wie überproportioniert lang man die Köpfe der Kunstturner und Turmspringer vor einer entscheidenden Übung überträgt. In den Gesichtern und Blicken erkennt Katja Stuke Intimität, Verletzlichkeit und Ausgesetztheit der Sportler und Sportlerinnen im Angesicht eines Millionenpublikums. Fasziniert von diesen unerwarteten Eindrücken filmt sie die Fernsehbilder spontan mit ihrer Videokamera und beschließt, das bewegte Videobild als Still zu kultivieren und Einzelmotive in sichtbarer TV-Stäbchenrasterung heraus zu fotografieren. Die distanzierte Ästhetik des medienvermittelten Bildes verwandelt sich plötzlich in eine Art mystische Nähe. Es folgen Aufnahmen der Olympischen Spiele Athen (2004) und Peking (2008), die schließlich zum Projekt SUPERNATURAL (2010) führen. In der Nachbearbeitung dieser Arbeit werden Einblendungen jeglicher Art ausgeschlossen und das Fernseh-Querformat in ein Portrait-Hochformat übertragen. Durch ihren Umgang mit dem Bild vom Bild gelingt Stuke bei SUPERNATURAL eine verdichtete Darstellung, die für den medialen Umgang mit Ereignis und Wahrnehmung ebenso steht wie für die Vermischung kollektiver und persönlicher Eindrücke und Erfahrungen.

Das frühe Projekt MY PERSONAL HITCHCOCK (2003) mag als eine ebenso nachhaltige Schlüsselerfahrung Stukes gelten. Inspiriert durch die dramatisch zugespitzte Bildsprache Hitchcocks, isoliert sie Videostills aus verschiedenen Hitchcock-Filmen und transformiert sie zu einer neuen fiktiven Dramaturgie. Die Hitchcock-typische Konzentration auf ein starkes Grundmotiv und die konsequente Vermeidung von Improvisation bei der finalen Bildgestaltung findet sich bis heute in Stukes Werk.
Auf diesem fortlaufenden Grenzgang zwischen Ereignis und Wahrnehmung, zwischen Wirklichkeit und Fiktion bieten sich verschiedene Zwischenmedien als ergänzende Gestaltungskomponenten an. In dem zur Zeit aktuellsten Buch LONLEY PLANET (2011) werden zu eigenen Videoaufnahmen in Silicon Valley zum Beispiel historische Quellen, Screenshots aus Second Life, SIMS und SIM CITY komponiert.
In dem mehrere Werke umfassenden Überwachungs-CCTV-Komplex, vorrangig vertreten in dem Buch KÖNNTE SEIN (2008), werden eigenes Videomaterial und fiktive Elemente aus Spielfilmen, Videospielen und Nachrichtenbeiträgen auf eine direkte, inhaltliche Ebene gebracht: Beobachtung, Überwachung und Katalogisierung – ein Aspekt, der Katja Stukes Werk wie eine Unterfütterung durchzieht. In diesem Sinne reicht Stukes Werk weit über die abbildende Qualität und ihre Bezüge zur Lebenswirklichkeit hinaus. Wir betreten in Stukes Werk immer wiederkehrende gedankliche Blickfelder auf Privatsphäre, informationelle Selbstbestimmung und soziale Kontrolle. Stukes Entscheidung, diese oder jene Situation auszuwählen entspringt dem entsprechend nie dem Ziel „sich selbst auszudrücken“ oder damit ihre Identität als Künstlerin zu formulieren. Stuke nutzt vielmehr ihre medialen Möglichkeiten von Video und Fotografie als eine Mehrfachspiegelung des sozialen Lebens und der kulturellen Umwelt. Es ist gerade die poetische Qualität von Stukes Bildern, die Denkanstöße liefert und zum kritischen Nachdenken an regt. Letztlich führt Stukes Strategie des medienvermittelten Bildes auf eine unmittelbare Spur von Wahrheit und Realität, die eine Einmischung in den gesellschaftlichen Diskurs um die Allmacht des Bildes und einen Einflussnahme auf gesellschaftliches Handeln offenbart.